Das Sandmännchen kennt wohl jeder: Jeden Abend bringt diese Fernsehsendung den Kindern eine spannende Gutenachtgeschichte. Darüber hinaus gibt es auch ein bekanntes Schauspiel unter dem Titel „Der Sandmann“. Doch eignet sich dieses für einen Besuch im Schauspielhaus mit der ganzen Familie?
Der Sandmann und das Sandmännchen: Bekannte Figuren mit ähnlicher Bezeichnung
Wer kennt das nicht: Jeden Abend möchten die Kinder für eine spannende Erzählung KiKa einschalten. Die sympathische Figur mit dem Mond und den Sternen im Hintergrund sorgt für einen unterhaltsamen Abschluss des Tages. Für viele Familien stellt dies ein tägliches Ritual dar, das den Kindern beim Einschlafen hilft.
Darüber hinaus gibt es jedoch noch ein Märchen, das einen ganz ähnlichen Titel trägt: Der Sandmann von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. Manche Eltern sind eventuell auf ein Taschenbuch mit diesem Titel gestoßen oder haben auf einem Plakat gesehen, dass ein Schauspielhaus in der Umgebung eine entsprechende Aufführung anbietet. Aufgrund des ähnlichen Titels drängt sich der Gedanke auf, das entsprechende Taschenbuch als Gutenachtgeschichte für die Kinder zu kaufen oder mit der gesamten Familie das Schauspielhaus zu besuchen.
Das mag auf den ersten Blick als gute Idee erscheinen, doch kann das zu einer unangenehmen Überraschung führen: Das Märchen „Der Sandmann“ unterscheidet sich stark von der Erzählung KiKa. Daher ist es vor der Lektüre sinnvoll, sich zunächst über den Inhalt und über die Charakterisierungen der Figuren dieses Werks zu informieren.
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Der Sandmann: Eine bekannte Sagengestalt
Das Märchen „Der Sandmann“ erschien erstmals 1816. Der Autor griff dabei jedoch auf eine Sagengestalt zurück, die damals bereits seit Jahrhunderten bekannt war. Diese kommt der Legende nach jeden Abend zu den Kindern, um ihnen den Sand in die Augen zu streuen. Wenn sie sich am nächsten Morgen den Sand aus den Augen reiben, bemerken sie den Besuch des Sandmanns am Vorabend.
Dabei gibt es jedoch zwei unterschiedliche Deutungen der Sagengestalt. In vielen Erzählungen sind die entsprechenden Charakterisierungen positiv: Der Sandmann besucht die Kinder und streut ihnen nicht nur den Sand in die Augen, sondern schenkt ihnen auch angenehme Träume. Darüber hinaus soll diese Figur ein gutes Verhalten der Kinder fördern. Denn nur wenn sie sich artig verhalten haben, erhalten sie die unterhaltsamen Träume. Wenn sie hingegen nicht brav waren, träumen sie nichts.
Darüber hinaus ist eine negative Deutung dieser Sagengestalt bekannt. Nach einem bekannten Ammenmärchen verletzt sie die Augen der Kinder durch den Sand, den sie einstreut. In manchen Geschichten reißt sie ihnen die Augen sogar vollständig aus. Diese Legende dient unter anderem dazu, die Kinder dazu zu bewegen, schnell einzuschlafen. Denn von der Strafe des Sandmanns sind nur die Kinder betroffen, die abends lange wach bleiben.
In der Literatur gibt es mehrere Werke, die auf die verschiedenen Charakterisierungen des Sandmanns Bezug nehmen. Das Märchen Ole Lukøje von Hans Christian Andersen zeichnet beispielsweise ein positives Bild von dieser Sagengestalt. Es stellt eine heitere Lektüre dar, die gut für Kinder geeignet ist. Daher eignet es sich hervorragend dazu, es zusammen mit den Kindern zu lesen. Das hier beschriebene Werk von Hoffmann nimmt jedoch auf die negative Darstellung der Sagengestalt Bezug. Die Darstellung des Sandmanns als Monster, das die Augen ausreißt, führt dazu, dass dieses Werk häufig als Schauerroman bezeichnet wird. Bereits daran wird deutlich, dass sich diese Geschichte nicht unbedingt für Kinder eignet. Um eine genauere Vorstellung von dieser Erzählung zu bekommen, wird im Folgenden ihr Inhalt vorgestellt.
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Das Schauspiel „Der Sandmann“
Die Hauptperson dieses Werks trägt den Namen Nathanael. Diese Bezeichnung nimmt zum einen Bezug zur Geburt (Natal) und zum anderen zum griechischen Todesgott Thanatos. Schon die Namensgebung deutet darauf hin, dass es sich hierbei um eine düster und zwiegespaltene Persönlichkeit handelt. Nathanael ist Student und mit einer Frau namens Clara verlobt.
Auch der Beginn der Handlung zeichnet ein düsteres Bild. Nathanael beschreibt in einem Brief an seinen Freund Lothar, wie er den Händler Coppola kennengelernt hat. Dieser erinnert ihn jedoch an eine furchteinflößende Figur aus seiner Kindheitserinnerung: Coppelius. Diese führte gemeinsam mit Nathanaels Vater alchimistische Experimente durch. Dabei kam es zu einer Explosion, die diesen das Leben kostete. Nathanael gibt Coppelius die Schuld an diesem Unfall. In seiner Erinnerung nimmt dieser die Gestalt eines Sandmanns an, der den Kindern die Augen aus dem Kopf reißt. Durch die Begegnung mit Coppola gewinnt dieses Kindheitstrauma wieder an Bedeutung für Nathanael. Dieser leidet aufgrund dieser Erinnerung an Wahnvorstellungen, die sich auf diese Weise verstärken.
Im weiteren Verlauf der Erzählung lernt Nathanael Olimpia kennen, angeblich die Tochter des Naturforschers Spalanzani. Er verliebt sich in sie, ohne dabei zu bemerken, dass es sich dabei um eine automatisierte Holzpuppe – nach modernen Vorstellungen um einen Roboter handelt. Erst als der Händler Coppola Olimpia entführt, bemerkt er den Trugschluss. Dabei reißt Coppola ihr die Augen aus dem Kopf, wodurch wieder die Verbindung zum Sandmann und damit zu der Erinnerung an Coppelius hergestellt wird. Diese Vorstellung treibt Nathanael weiter in den Wahnsinn.
Nach einiger Zeit im Tollhaus gilt Nathanael als vom Wahnsinn geheilt. Er fasst den Beschluss, zusammen mit seiner Verlobten Clara aufs Land zu ziehen. Um sich von der Stadt zu verabschieden, steigen sie gemeinsam auf einen Turm. Dort macht Clara Nathanael auf einen auffälligen grauen Busch aufmerksam. Daraufhin betrachtet er diesen durch ein Perspektiv, das er zuvor von Coppola gekauft hatte. Auf diese Weise erblickt er zu seiner Überraschung jedoch Clara, die eigentlich neben ihm steht. Als er dann auch noch Coppelius am Fuße des Turms entdeckt, verfällt er endgültig dem Wahnsinn. Daraufhin stürzt er sich in den Tod.
Video: SANDMÄNNCHEN: „Die schwatzhafte Frau Elster“ (mit Fuchs, Uhu und Hoppel) Folge 04 – Sandmann
Das Sandmännchen: Eine ansprechende Fernsehserie für Kinder
Wer abends für eine spannende Erzählung KiKa einschaltet, kann jeden Tag das Sandmännchen anschauen. Dabei handelt es sich um eine Fernsehserie mit einer Jahrzehnte langen Tradition. Die erste Folge wurde bereits 1959 ausgestrahlt. Schon einige Jahre früher gab es eine entsprechende Radiosendung. Die Geschichte des Sandmännchens spiegelt auch die deutsche Teilung wieder. Die Idee, eine Fernsehsendung mit der Geschichte des Sandmännchens zu gestalten, geht auf Ilse Obrig zurück.
Diese war zunächst beim DDR-Staatssender DFF beschäftigt und entwickelte dort ihre ersten Ideen. Doch wechselte sie 1958 zum Sender Freies Berlin und führte dort ihr Projekt fort. Das bisherige Team in der DDR arbeitete jedoch ebenfalls an dieser Idee weiter. Das hatte zur Folge, dass 1959 beinahe zeitgleich zwei Fernsehsendungen mit dieser Bezeichnung ausgestrahlt wurden. Bis zur deutschen Wiedervereinigung blieb diese Zweiteilung erhalten, sodass es das Ost- und das West-Sandmännchen gab. Nach 1990 kam es jedoch zu einer Zusammenführung der Programme. Für die Gestaltung ist mittlerweile die ARD verantwortlich.
Diese Figur nimmt ebenfalls Bezug auf die Sagengestalt des Sandmanns. Die Darstellung eines kleinen Männchens mit langem weißen Bart orientiert sich sogar an der Erzählung Hoffmanns. Allerdings werden die Unterschiede zu diesem literarischen Vorbild auf den ersten Blick deutlich. Die Darstellung mit einem Lächeln auf dem Gesicht und mit dem Mond und den Sternen im Hintergrund erinnert in keiner Weise an die düstere Sagengestalt.
Auch die Handlung weist keinerlei Bezug zur Erzählung Hoffmanns auf. Der Sandmann orientiert sich hier an der positiven Deutung der Sagengestalt, die unter anderem im Märchen von Hans Christian Andersen zum Ausdruck kommt. Diese Figur ist hierbei für die Rahmengestaltung der Sendung verantwortlich. Sie präsentiert jeden Tag eine andere Geschichte, die ganz unterschiedliche Themen aufgreift.
Video: SANDMÄNNCHEN: „Plumps und der Froschkönig“ (mit Küken) Folge 05 – Sandmann
Der Sandmann: Nur bedingt für Kinder geeignet
Wer mit dem Gedanken spielt, eine Aufführung des Werks „Der Sandmann“ in einem Schauspielhaus gemeinsam mit der Familie zu besuchen oder ein Taschenbuch für die Lektüre mit den Kindern zu kaufen, sollte nochmals genau über diese Pläne nachdenken. Trotz der Ähnlichkeit des Titels weist der Sandmann, der hier beschrieben wird, große Unterschiede zur Figur des Sandmännchens auf. Zwar beruhen beide Geschichten auf der gleichen Sagengestalt, sie nehmen jedoch auf ganz unterschiedlichen Deutungen Bezug.
Während es sich bei der Kindersendung um eine freundliche Figur handelt, die mit Sternen geschmückt ist und die den Kindern eine spannende Gutenachtgeschichte präsentiert, stellt die Figur des Sandmanns bei Hoffmann ein furchteinflößendes Monster dar. Dieses symbolisiert das Kindheitstrauma der Hauptfigur und treibt sie schließlich in den Wahnsinn. Ausgerissene Augen und der Tod sind allgegenwärtige Motive in diesem Werk. Diese Handlung scheint für Kinder nicht angemessen.
Sie kann zu Angstzuständen und zu Albträumen führen. Außerdem sind diese wohl nicht dazu in der Lage, die gesellschaftskritischen Hintergründe des Werks zu verstehen. Daher stellt der Sandmann kein kindgerechtes Schauspiel dar. Wenn Sie eine Geschichte mit einem Bezug zum Sandmann suchen, die für Kinder geeignet ist, bietet sich das Märchen Ole Lukøje von Hans Christian Andersen an, das diese Inhalte kindgerecht darstellt.
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